Genealogie ist auch nicht mehr das, was sie einmal war 😉

von Peter Teuthorn - 08.04.2021

Wir könnten auch mit Bob Dylan in den Song einstimmen: The times, they are changing. Dass die Zeiten sich ändern und wir mit ihnen, das ist eine unabänderliche Gewissheit. Obwohl wir wissen, dass die Zeit nicht stillsteht, wollen wir es nicht gerne wahrhaben. Denn Veränderung kann verunsichern. Aber spätestens aus der zeitlichen Distanz wird Veränderung zur augenscheinlichen Tatsache, der sich entgegenzustemmen nichts nützt.

Nehmen wir einmal an, wir wären Genealogen, ohne genau zu wissen, was einen Genealogen ausmacht. Dann fangen wir zur Selbstvergewisserung unseres Tuns am besten einmal damit an, vorgefundene Begriffe auf Inhalte zu hinterfragen. Sind wir Ahnenforscher, historische Familienforscher, Familiengeschichtsforscher, Heimatforscher, Altgenealogen, Hobbygenealogen, Geschichtenerzähler, Buchautoren oder eine Kombination aus mehreren? Haben Begriffe im Laufe der Zeit ihre Bedeutung geändert? Machen Genealogen noch dasselbe wie vor hundert Jahren? Sollen sie sich an Regeln vom Beginn des letzten Jahrhunderts halten? Dürfen Familienforscher verschiedene Ziele haben?

Solche und weitere Fragen löst der an prominenter Stelle unserer ZMFG 2021/1 erschienene Beitrag: Aktuelle Probleme der Genealogie und die „Leipziger Richtlinien“ aus.  

Familienforschung ist ein komplexes Universum mit einer Vielzahl von Aspekten. Da ist z.B. die Entwicklung des Handwerkszeugs von der handgeschriebenen Aufzeichnung über das Typoskript zu Textanwendungen und archivfähigen elektronischen Dokumenten, wie PDFA/1. Aus Abschriften auf Karteikarten wurden Scans & Digitalisate. Was früher per Ahnenumlauf mit Brief weitergegeben wurde steckt heute in einer elektronisch übermittelten GEDCOM-Datei.

Und dann die Erosion von Begriffen, die wir über lange Jahre für unveränderlich gehalten hatten! Der aufgeweichte und damit zum unverbindlichen Allgemeinbegriff gewordene Stammbaum. Hatte mein Großvater, als er mir zusammen mit einem auf Englisch geschriebenen Brief den in der Familie überlieferten „pedigree“ schickte, also eine „line of descent“ und „genealogical table“ (nach Collins English Dictionary), mir nun eine Ahnentafel oder eine Stammlinie (Wikipedia) geschickt? Was mir schon im letzten Jahrhundert nicht so wichtig war, hat mit Internationalität und Popularität von Familienforschung/Family Research seine scharfe deutsche Begrifflichkeit eingebüßt. Ob wir das nun mögen oder nicht, wir müssen damit leben. Und wir können es.

Bisher war von Form und Begriffen die Rede. Wenn deren Verfall beklagt wird, ist nach meiner Beobachtung meistens ein Qualitätsverfall der Forschungsinhalte/-ergebnisse mitgemeint. Das müssen wir aber trennen. Gestern wie heute gab und gibt es darin große Unterschiede, die wenig mit der Form zu tun haben. Was heute an beklagenswerten Fehlern im Netz verbreitet wird, findet sich ebenso in Büchern in unseren Bibliotheken. (Die Fehler unterscheiden sich aber natürlich im Ausmaß ihrer Verbreitung.) Und noch eine Klage thematisiert nichts Neues. Was heute nach einem Forscherleben im Container landet, verrottete und verstaubte gestern, als es diese Räume noch gab, in Kellern und auf Dachböden.

Ich beende diese Zeilen mit dem Slogan einer bekannten TV-Talkmasterin: Wir müssen reden! Natürlich nur, wenn es ein Bedürfnis dazu gibt.

Mit welchem Ziel betreiben wir heute Genealogie? Können wir Familien- und Heimatgeschichte besser verbinden? Wie sollten wir unsere Orte verwalten? Gibt es genealogische Standards und welche brauchen wir heute? Darf Familienforschung etwas kosten, und ist alles Kommerzielle böse? Wie und wo dokumentieren wir unsere Ergebnisse? Warum werden so viele Forschungen niemals öffentlich? Wie publizieren wir?

Wenn dies Themen sind, die auch Sie bewegen oder zu denen sie etwas beitragen mögen, schreiben Sie uns unter blog@amf-verein.de. Gerne veröffentlichen wir Erfahrungen, Hinweise und Tipps auch hier im Blog.

Peter Teuthorn

Mitglied: AMF 2010 / SHFam 1291 / CompGen 3116 / 

p(at)teu-net.de

Mehr über ihn und seine Forschung unter http://wiki-de.genealogy.net/Benutzer:Teuthorn