Blog-Redaktion, M. Heinevetter, 03./05.09.2024
Die gregorianische Kalenderreform von 1582 ist in vielerlei Hinsicht von historischem Interesse.
Sie bewirkte einen gravierenden und bis heute gültigen Einschnitt globaler Dimension - die Korrektur des bis dahin verwendeten julianischen Kalenders durch die Modifikation der Osterfestberechnung und Schaltjahrregelung sowie das Überspringen von 10 Tagen im Oktober 1582.
Diese Zäsur ist jedoch nur ein Teilaspekt dieser Reform,
denn sie spiegelt darüber hinaus die doch sehr komplexe Struktur von alltagsgeschichtlichen und kulturellen Determinanten inklusive des konfessionellen und politischen Alltags, geschichtliche Entwicklungen im ausgehenden 16. und 17. Jahrhundert wieder.
Die Einführung der Reform war verwoben mit den epochalen Konflikten der Reformation (1517) und der Gegenreformation (ab 1540-18. Jhd.) sowie dem Machtgefüge von Reichsfürsten und Landständen gegenüber dem Kaiser mit den daraus abzuleitenden Wirkungen auf die direkte Lebenswelt der gesamten Bevölkerung.
Eine kürzlich im Sommer 2024 entstandene Diskussion in der Forschergemeinschaft der AMF aufgreifend, soll dieser Blogbeitrag als Weiterleitungsebene zur tieferen Beschäftigung mit diesem Thema dienen.
Die Einführung in rein katholischen Ländern gestaltete sich nach 1582 (mit Rücksicht auf den inneren Frieden erließ Kaiser Rudolf II. erst im September 1583 eine Verordnung zur Kalenderkorrektur, in der er jedoch einen Bezug auf die päpstliche Bulle zur Kalenderreform vermied, um nicht die "Neugläubigen" vor den Kopf zu stoßen) relativ problemlos, insbesondere in Italien, Portugal, Spanien und Frankreich, was sehr sicher auch der Blick des seinerzeitigen Papstes Gregor XIII., war. Dem entgegen gestaltete sich die Einführung in den protestantisch geprägten Ländern Nordeuropas und erst recht in den konfessionell unterschiedlich geprägten Gebieten Deutschlands nach 1582 äußerst unterschiedlich (* die Ostkirche lehnte diese gleich gänzlich ab - bis heute).
Während die Reform also in katholischen geprägten Gebieten des Reiches intensiv vorangetrieben wurde, führte dies im Gegensatz dazu in evangelischen Gebieten zu massiver Ablehnung und zeitlicher Verzögerung, die auch über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648) hinausreichte und sich bis um das Jahr 1700 hinzog.
Als nur ein Beispiel sei hier das Eichsfeld genannt (hier - Exkurs zur Umsetzung im Eichsfeld), in dem sich nach 1574 und dem Besuch (Visitation) des Erzbischofs Brendel von Homburg (es war zuvor fast ein halbes Jahrhundert! kein Kurfürst mehr auf dem Eichsfeld gewesen...), die Jesuiten (Heiligenstadt) im Eichsfeld für die Rekatholisierung einsetzten, die um 1610 als abgeschlossen betrachtet wurde. Allerdings - sich aber im heutigen Untereichsfeld im Raum Duderstadt und speziell auch in der Stadt Duderstadt (sowie den Gebieten der Ritterschaft, die (fast) in Gänze protestantisch geworden waren) die andersgläubig gewordene Bevölkerung nebst Rat standhaft weigerte, im ganzen 17. Jahrhundert, vor und nach dem 30-jährigen Krieg (1618 - 1648), der neuen Zeitrechnung zu folgen, diese vielmehr gar, polemisierend, als ersten Schritt zur Einführung des Papismus sah…
Bei der Umsetzung der Gregorianischen Reform wurde auch im Untereichsfeld auch 1610 oder 1660 noch reichlich Einfallsreichtum eingesetzt und diverse Lippenbekenntnisse - in dem man - pro forma - den Weisungen des Mainzer Amtsvogts und des Bischöflichen Kommissarius zwar folgen wollte, in Praxi jedoch genau das Gegenteil tat und zuweilen sogar 2 Kalender führte - den sogenannten offiziellen Gregorianischen und den eigentlich gebrauchten Julianischen für das Reale...
Diese Situation führte natürlich auch zu erheblichen Konflikten und je nach Ausprägung zu geradezu „komödienhaften Inszenierungen“ unter dem Stichwort am Karfreitag der Evangelischen fuhren die katholischen Mitbürger den Stallmist durch die Straßen und Gassen aus oder der katholische Pfarrer ließ am Sonntag statt des Glockengeläuts die Flinten vom Kirchturme abfeuern…
In den anderen Gebieten des Forschungsraums, und auch Thüringens, gestaltet sich die Einführung ebenso schwierig und völlig ungleichmäßig und zog sich bis etwa um 1700 hin.
(* Einführung in der Schweiz im Jahre 1700, in Holland 1700/1701, England mit Irland, Schottland und überseeischen Besitzungen 1752, Dänemark und Norwegen 1700, in Deutschland, Reichsgebiet, im Jahre 1700 auf Initiative des Universalgelehrten Wilhelm von Leibniz, des dänischen Astronomen Roema sowie des Gelehrten Erhard Weigl - danach nahmen auch die evangelischen Reichsstände zusammengenommen die Kalenderreform (verbesserter Kalender) an – vgl. Steinmetz, D., a.a.O., S. 363 ff.)
Für die Familienforschung ist es natürlich von nicht unerheblicher Bedeutung, die Daten der gefundenen Personen in den Quellen, speziell den Kirchenbüchern, richtig einzuordnen.
Insoweit sollte man wissen, ob der Julianische Kalender oder der gregorianische Kalender angewendet wurde.
Diese Frage ist allerdings in Gänze nicht einfach zu beantworten - man muss von Ort zu Ort, Region zu Region schauen. Hierzu gab es im Forschungsraum jüngst eine lebhafte Diskussion mit Bezug zur AMF-Nachrichtensammlung, Band 229, Eintrag 11 - 17.08.2024.
Hierzu ist ein im Stadtarchiv Nordhausen aufgefundener Zeitungsartikel von vor knapp 140 Jahren (1888) äußerst wertvoll (mit besonderem Dank an den Leiter des StadtArchives NDH, Herr Dr. Theilemann).
Vgl. aus: -> Sonntagsblatt Nordhausen Jahrgang 3 – 1888, Nummer 90 vom 22.7.1888.
Autor: F. Kunze, Suhl.
Quelle: Stadtarchiv Nordhausen, Bestand 10.1.
Nach einer ausführlichen Darstellung des Julianischen Kalenders, seiner Probleme und Fehler, und der Gründe der Umstellung durch Papst Gregor XIII. im Jahre 1582 führte der Autor sinngemäß folgendes aus:
Aus der vorstehenden Berichterstattung ist demnach ersichtlich, dass der gregorianische Kalender kurz nach seiner Herausgabe und Inkrafttreten (1583) in denjenigen Landesteilen Thüringens, welche diem Mainzer Kurfürstentum unterstellt waren – also auch auf dem Eichsfelde - auf obrigkeitlichen Befehl zur Einführung gelangt.
(* zur genauen Einführung im Eichsfeld, den diesbezüglichen Problemen, siehe weiter oben bzw. Literatur Hinweise weiter unten Röhrig, Martin - bezüglich des Jahres 1583)
Die protestantischen Länder Thüringens – demnach auch sämtliche sächsischen Landesteile – ließen den Gregorianischen Kalender* hingegen erst gegen das Jahr 1700 zur allgemeinen Einbürgerung gelangen. (*Anm.d. Autors: Dies führte über ein Jahrhundert hinweg zu erheblichen Verwirrungen durch die existierende Zwei-Gleisigkeit zweier Kalendersysteme mit allen Folgen / * im strengen Sinne wurde jedoch ein sog. Verbesserten Kalender eingeführt, er unterschied sich vom Gregor. Kalender in der Osterfeststellung - hier (evangelisch) astronomische Beobachtung des Frühlingsvollmonds - dies führte bis 1776 zu erneuten Osterkonflikten).
Am 24. November 1699 gab der Landesfürst Sachsen-Eisenachs Befehl zur Aufnahme des sogenannten Verbesserten Kalenders. Den 24. November 1699 hatte Herzog Johann Wilhelm zu Sachsen-Eisenach den Landständen und sämtlichen Untertanen selbigen Fürstentums und der dazugehörigen fürstlichen-jenaischen Landesportion durch ein druckfertiges Patent zur Kenntnis gemacht und die Einführung des Verbesserten Kalenders verordnet.
Darauf folgte nach dem 18. Februar 1700 nach altem Kalender, der 1. März nach neuem Kalender, d.h. es wurden die elf inzwischen angesammelten Tage ausgelassen.
Am 25. Sonntag nach dem Fest der Heiligen Dreieinigkeit (den 26. November 1699) wurde vom Herzog Wilhelm Ernst zu Sachsen-Weimar ebenso die gleich lautende Einführung des Verbesserten Kalenders auf den 18. Februar 1700 angeordnet. Die Proklamation war u.a. von allen Kanzeln zu verlesen. Dies betraf auch die „Fürstliche Henne“.
An dem selben Datum (26.11.1699) ist auch von dem regierenden Herzog zu Gotha, Friedrich, wegen der auf dem Reichstage zu Regensburg geschehenen Veränderung des sogenannten alten Kalenders die Einführung des neuen Kalenders auf den 18. Februar alten Kalenders 1700 angeordnet worden.
Im Kurfürstentum Sachsen wurde die neue Zeitrechnung ebenfalls am 26.11.1699 von allen Kanzeln proclamiert. In der sächsischsen Version wird auch die künftige Schaltregel des Verbesserten Kalenders erwähnt. (vgl. Steinmetz, D.: a.a.O., S. 375 f.)
Kurfürst Friedrich der III. von Brandenburg - später König Friedrich I. in Preußen - gründete im Jahre 1700 die Berliner Akademie der Wissenschaften, der künftig die Erstellung aller in Brandenburg vertriebenen Kalender oblag. Das Kalenderpatent selbst datiert jedoch bereits vorher vom 10. Mai 1700. (vgl. Steinmetz, D.: a.a.O., S. 376 f.)
Diese geschah in beiden freien Reichsstädten unter Bezug auf den Reichtagsbeschluss 1699 wie folgt:
Der sogenannte Verbesserte Kalender nach evangelischer Sicht, Unterscheidung im Osterdatum, wurde also zum 18. Februar 1700 eingeführt. Durch die unterschiedliche Regelung der Ermittlung des Osterdatums als zentraler Punkt für den Kalender und die Festlegung der Jahresfeste und kirchlichen Feiertage, bedeutete dies aber auch immer noch eine Disharmonie der Feiertage.
Die zeigte sich insbesondere bei den Osterfesten 1724 und 1744, bei denen das Osterdatum katholisch - evangelisch wieder auseinanderfiel und zu entsprechenden Konflikten im Reichsgebiet führte. Erst im Vorfeld der drohenden erneuten Kollision im Jahre 1776 waren die Beteiligten beim sogenannten Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum bereit und in der Lage, und auch auf Betreiben Brandenburgs in einer Sitzung am 13. Dezember 1775 des Corpus Evangelicorum die "Calender und Osterfeyer Sachen" zu debattieren und einen einstimmigen Beschluss zu fassen. Dieser bedeutete nun endlich die Annahme des Gregorianischen Kalenders unter dem Namen Verbesserter Reichskalender.
Daraufhin wurde durch das kurmainzische Direktorium am 29. Januar 1776 ein entsprechendes Reichsgutachten an den Kaiser Josef II. gesandt mit der Bitte um Genehmigung und reichsweite Bekanntmachung. Dies erfolgte durch Patent Josef II. am 7. Juni 1776 als kaiserliches Patent mit der Einführung eines Allgemeinen Reichskalenders. Damit waren nach fast 200 Jahren inclusive 50 Jahren Osterstreites die Streitigkeiten zur Einführung eines neuen Kalender endlich - erstaunlich, geräuschlos - gütlich beigelegt. Man darf annehmen, dass nun im Zeitalter der Aufklärung quasi die Vernunft gesiegt hatte....(vgl. Steinmetz, D.: a.a.O., S. 370 ff.)
Zur ganzen Thematik haben sich Wissenschaftler & Forscher seit dem Jahre 1583 Gedanken gemacht
und dies auch schriftlich niedergelegt.
deshalb sei an dieser Stelle als Portal- Idee weiterführend auf u.a. folgende (nicht abschließend aufgeführte) weiterführende Literatur verwiesen:
Oftersheim: Verlag Dirk Steinmetz 2011. 502 S. mit 62 Abb. und 30 Tab.
ISBN 978-3-943051-00-1. Geb. A 69,80
Diese umfangreiche Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 unter dem Titel „Die Gregorianische Kalenderreform. Die Korrektur der christlichen Zeitrechnung und ihre Geschichte“ als Dissertation an der Philosophischen Fakultät (Prof. Dr. Eike Wolgast/Heidelberg, Prof. Dr. Klaus Volkert/Wuppertal) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg eingereicht und angenommen.
Die problematische Einführung des gregorianischen Kalenders im Eichsfeld; in Eichsfeldjahrbuch (EJB) 2014, S. 113-133
In: Aus der Heimath. Sonntagsblatt des Nordhäuser Courier, Jg. 3/1888, Nr. 30 vom 22.7.1888
zu finden im Stadtarchiv Nordhausen, Zeitungsarchiv
und das Verhältnis zwischen der Reichsstadt und dem Stift zum Heiligen Kreuz, in: BGNDH, Jg. 49/2024, S. 101-113.