Vom Beginn meiner Familienforschung und einem geheimnsvollen Karton

von Carolin Petzoldt - 20.10.2022

Man ist nie zu jung, um sich für die Familienforschung zu interessieren. Ich war gerade 16 oder 17 Jahre alt, als wir auf dem Hackrechtsboden[1] zufällig eine Sammlung von Liebesbriefen, eine alte Reemtsma-Zigarettenschachtel und Essensmarken zum Einkleben entdeckten. Besonders diese Liebesbriefe berührten mich. Sie stammten aus früheren Zeiten, waren mir aber nicht so fremd wie die Themen im Geschichtsunterricht, denn sie betrafen meine eigene Familie.

Es vergingen einige Jahre und mir wurde immer bewusster, dass alles endlich ist. Deshalb besuchte ich meine Oma in Dölau bei Greiz, den Onkel meines Vaters und dessen Frau in Dreba und stellte viele Fragen. Alles was ich erfuhr, schrieb ich mir auf und sammelte diese Notizen.

Als meine Oma Gisela Paschke geborene Kaufhold (* 29.10.1930 in Holbach) am 10. August 2010 in Dölau verstarb, fanden wir in einem Schrank einen Karton mit Unterlagen meines Opas Erich Paschke (* 28.05.1929 Barzdorf, + 08.08.1995 Dölau). Ich wusste bisher nur, dass er als Jugendlicher mit seiner Familie aus dem Sudetenland vertrieben wurde, als er 16 Jahre jung war und seine Heimat Jauernig nahe des Altvatergebirges jetzt zu Tschechien gehört. Die Flucht führte ihn schließlich nach Göschitz bei Schleiz.

Der entdeckte Karton war ein Forscherschatz für mich. Er enthielt Poesiealben, alte Landkarten, Hausbaupläne von damals, ein Soldbuch seines Vaters Franz und ein sehr trauriges Dokument, in welchem beschrieben wird, wie der Vater meines Opas als vormaliger Sozialdemokrat und nunmehr KPD-Mitglied in Jauernig verhaftet, nach Cottbus verbracht und dort von der Gestapo verhört und gefoltert wurde. Diese Zeitzeugnisse waren für mich Anlass, mich intensiver mit der Zwangsumsiedlung zu beschäftigen.

Dank des Internets und meiner Hartnäckigkeit, einiger Zufallsfunde und Recherchen im Staatsarchiv Opava kam ich über die Jahre Schritt für Schritt weiter. In der Online-Datenbank des Archives fand ich nach und nach Tauf- und Heiratsurkunden, mit denen ich Lebensdaten von Mitgliedern verschiedener Familienzweige rekonstruieren konnte. Heute weiß ich, dass dieser Teil meiner Familie schon seit 1820 dort lebte.

Anhand von Transportlisten, auf denen auch mein Opa, seine Mutter und sein Onkel verzeichnet sind, konnte ich auf den Tag bestimmen, wann sie ihre Heimat verlassen mussten. Nicht nachvollziehen konnte ich bisher, wie lange sie unterwegs waren, wo sie untergebracht wurden, wie die Reise verlief und was sie mitnehmen konnten. Darüber wollte ich gerne mehr herausbekommen.

In der Kiste befanden sich auch Briefe und Postkarten von Familienmitgliedern und Freunden. Auf einem Brief war der Name Ewald Jonas zu lesen und auch dessen komplette Postanschrift. Jonas war der Mädchenname der Mutter meines Großvaters. Rosa Anna Jonas war sehr großherzig. Meine Mutter erzählte mir immer gern von ihren Ferien in Göschitz, wo ihre Großmutter so gut kochte, backte und einweckte. Tragischerweise vergiftete sich Rosa mit Arsen. Warum, bleibt für immer ihr Geheimnis.

Die Adresse auf dem genannten Brief sollte für mich Gold wert sein. Spontan recherchierte ich nach dieser Anschrift im Internet und fand einen Nachbarn mit Telefonnummer. Diese Chance ließ ich mir nicht entgehen und rief ihn gleich an, zum Glück ging er auch an sein Telefon. Nun befragte ich ihn, ob im Nachbarhaus ein Ewald Jonas lebt. So erfuhr ich, dass dieser schon fünf Jahre zuvor verstorben war, aber dessen Sohn noch in dem Haus wohne. Ich bat darum, ihm meine Telefonnummer weiterzuleiten. Dass der Nachbar meiner Bitte noch am selben Tag nachkam und ich am Abend schon ein Telefonat führen konnte, fand ich ganz großartig.

Der Anrufer war anfangs ein bisschen skeptisch, aber als ich Paschkes erwähnte, erzählte er mir, wie sie einmal nach der Wende dort zu Besuch waren. Mit dieser Verbindung konnte ich ihm auch meinen Grund der Suche erklären und so erfuhr ich, dass sein Vater viele Unterlagen gesammelt hatte und er nachsehen würde, ob er mir helfen könne.

Ein paar Tage später erhielt ich Post mit kopierten Tagebucheinträgen aus der Zeit der Zwangsumsiedlung. So erfuhr ich detailliert, was meine Vorfahren erlebten bis hin zu dem Tag, als sie in Westdeutschland ankamen. Auch ein Stammbaum war enthalten, der aber erst noch ausgewertet werden muss.

Man sieht, manchmal reichen schon eine Internetrecherche und ein wenig Mut aus (ein Quäntchen Glück darf natürlich nicht fehlen), um lange ersehnte Antworten zu erhalten. Ich war jedenfalls unheimlich stolz, was ich bisher herausfinden konnte und kann nur allen empfehlen, die eigene Familiengeschichte zu erforschen.

[1] Auf dem Hackrechtsboden stand eine Maschine, die Stroh in eine bestimmte Länge hackte, um es dann weiter für das Vieh zu benutzen.