Thomas Engelhardt - 28.10.2025
Über die Speisung des Gesindes in längst verganger Zeit findet man im Hauptstaatsarchiv Dresden in den Gerichtsbüchern (z.B. für Döbeln) für die Zeit um 1740 folgende Anweisung:
"In der Woche bekommen sie täglich ein Eingebrocktes [in Milch, Molke oder Dünnbier aufgeweichtes Brot], als im Winter Suppe und im Sommer Molken. Dazu alle zwei Tage Zugemüse. Mit der einen Zugemüse wird abgewechselt, die andere ist aber alle Tage ein Rockner [Roggensemmel], doch ausgeschlagener Mehlbrei..."
Des Sonntags bekommen sie eine Suppe, halb Bier, halb Konfent [(eigtl. Kofent) = Dünnbier, Nachbier], Fleisch oder Fleischeswert. Doch wenigstens allezeit den dritten Sonntag Fleisch ... abends Zugemüse, eine Merte [kalte Schale], halb Bier, halb Kofent, einen Weizenmischbrei und Butter. Die Hohen Feste als Ostern, Pfingsten, Kirmes und Weihnachten bekommen sie
den 1. Feiertag eine ganze Biersuppe, eine Gerichte Fleisch und Hirsebrei, abends eine ganze Biermerte [kalte Biersuppe], ein geräuchtertes Fleisch, einen Braten und wieder Hirsebrei.
Den 2. Feiertag wieder eine ganze Biermerte, Rindsflecke [sächsischer Regionalausdruck für Kutteln (Pansen)] und wieder eine gute Zugemüse.
Den 3. Feiertag bekommen sie wie am Sonntage. Hat man Geschlinke (Innereien), so müssen sie es den 3. Feiertag zu Mittage essen.
Die ersten beiden Feiertage bekommt jedwedes Gesinde 1 Nösel Bier [0,468 l (sächisches Raummaß)], mittags und abends
den 3. Feiertag abermals zu Mittage.
Pfingsten, (und) Burkert bekommen sie Semmelmilch [eingeweichtes Brötchen] und wird für jedes 2-3 Semmel gegeben.
Am Burkert [11. Oktober] ein Gericht Fleisch dazu.
Von Walpurgis [1. Mai] bis Michaelis [29. September; an diesem Tag wechselten Gedingeleute den Dienstherrn, das Gut, und nahmen eine Anstellung auf einem anderen Hof an, ebenso wurden Zahlungen für Lohn und Pacht fällig], aber bis Walpurgis nur 7 wöchentlich und sonntags früh Butter, die Mägde bekommen im Winter Quark.[1]
Das Gesinde eines Hofes oder auch eines Gutes war funktional geteilt (Hofgesinde, Hausgesinde), ebenso jedoch auch hierarchisch gegliedert. Auf großen Höfen gab es den Großknecht und die Großmagd. Diese genossen gewisse Vorrechte und Privilegien gegenüber anderen Knechten (2. Knecht, Kleinknecht, Pferdeknecht, Arbeitsknechte) und Mägden.
Zeittypisch war die Auffassung, dass alle auf einem Hof lebenden Personen Familie waren (während die Abstammungsgemeinschaft jedoch als Sippe bezeichnet wurde). D.h. an Arbeitstagen wurden die Mahlzeiten in der Regel gemeinsam eingenommen. Auf größeren Höfen (bzw. auf Gütern) wurde das Gesinde auch in der Hofküche oder einem dafür her gerichteten Raum verpflegt, an den (damals noch zahlreicheren) Feiertagen dann auch in den gemeinschaftlichen Gesindestuben, die fast durchweg existierten, zumindest auf den adligen Gütern und großen Bauernhöfen.
Im eigentlichen Wohnhaus des Hofes bzw. Gutes wurde das Haus- und Hofgesinde jedoch nie beköstigt, auch nicht bei winterlicher Kälte oder schlechter Witterung. Auch die Schlafstellen der Knechte befanden sich nicht im Haupthaus, Kuh- und Pferdeknecht schliefen im Stall oder in einem Nebengelass, Arbeitsknechte in an den Ställen angebauten Kammern. Großknecht und Großmagd besaßen dagegen meist ihre eigenen kleinen Kammern, jedoch auch nie im Haupthaus, sondern in Nebengebäuden.
Man muss diese Lebensverhältnisse und die allgemeine Lebenssituation berücksichtigen, wenn man eine Vorgabe oder Empfehlung der Beköstigung wie dargestellt liest. Das mehrmals erwähnte Zugemüse bestand im Wesentlichen aus (in den Wintermonaten getrockneten) Bohnen, Erbsen, Linsen, sonst frisch geernteten Hülsenfrüchten sowie einem Mix völlig verschiedener Gemüsesorten, von denen heute einige so gut wie völlig unbekannt sind und auch nicht mehr oder doch nur marginal bzw. nur noch im Hausgebrauch angebaut werden. [2]
Darüber hinaus dominierte in der Ernährung Brot, Brei (z.B. aus geschrotetem Getreide) und Mehlspeisen und insbesondere verarbeitete Milch. Im Gegensatz zu heute wurde für die Ernährung hauptsächlich Roggen und Gerste verwendet, ebenso aber auch Hafer und insbesondere Hirse. Weit verbreitet war auch Buchweizen. Weizen spielte nur eine untergeordnete Rolle und galt als besonderes Getreide. Breizubereitungen waren alltäglich und aus der Küche nicht wegzudenken. Sauer eingelegte Lebensmittel (Sauergurken, Sauerkraut) wurden das ganze Jahr hindurch gegessen. Fisch wurde ebenso, wenn Gewässer existierten, gefangen und war Teil der Ernährung. Darüber hinaus wurden Früchte verarbeitet oder auch gekocht oder roh gegessen, an die heute kaum noch erinnert wird. Neben Pilzen, Schlehen, Maulbeeren, Mispeln, Holunder, Hagebutten, Waldbeeren auch jegliches Wild- und Gartenobst. Dieses wurde für das Winterhalbjahr auch getrocknet und bevorratet.
Das mehrmals erwähnte Bier ist keinesfalls mit den heute in Großbrauereien produzierten Massenbieren gleichzusetzen. Auch unterscheidet sich die damalige Bierherstellung für den Hausgebrauch hinsichtlich Brauverfahren, Qualität und Haltbarkeit erheblich von den heute standardisierten und großtechnisch angewendeten Brauverfahren. Während die heutigen Biere, unabhängig von den Sorten (untergärig, obergärig, Pilsner, Lager, Export) im Geschmack doch weitestgehend ähnlich sind und allenfalls geschmackliche Nuancen aufweisen, wurden damals in einem Ort oft verschiedene Biere gebraut. Das seinerzeit gebraute Bier (Braubier nach Pilsner Brauart war noch völlig unbekannt) [3] war überwiegend ein obergärig gebrautes Dünnbier, das geschmacklich am ehesten mit dem heute noch als Berliner Weiße bekannten in Berlin gebrauten Weißbier zu vergleichen wäre. [4]
Das Brauen des Hausbieres oblag der Hausfrau, nicht dem männlichen Familienoberhaupt. Das Bierbrauen erschien dabei lange Zeit als eine regelrechte Glückssache. Im 18. Jahrhundert ging man noch davon aus, dass von zehn Brauversuchen nur zwei erfolgreich waren. Jedoch wusste man, dass Frauen und Bäcker oft ein glücklicheres Händchen mit dem Bier hatten, als die Bierbrauer selbst. Der Grund: Dank der Brot-Teige schwirrten Hefe-Keime durch die Luft. Der Zusammenhang blieb bis zur Erfindung der Bierhefe[5] unbekannt, jedoch wurde neben dem Braukessel oft auch noch das Brot gebacken.
Insgesamt gesehen war die Ernährung aus heutiger Sicht sicherlich sehr einseitig, dennoch (ebenfalls unter Zugrundelegung heutiger Bewertungen) nicht ungesund. Im Gegenteil. Die überwiegende Mehrheit der Durchschnittsbevölkerung in den Industriestaaten, an den Konsum industriell verarbeiteter Lebensmittel und Supermarktware gewöhnt, dürfte sich heute weitaus ungesünder ernähren. Bio war im 18. Jahrhundert weder ein Marketingsystem noch Landwirtschaftsprogramm, sondern alltägliche Realität.
[1] Gerichtsbuch Döbeln Nr. 124 (Lehnbuch), Hauptstaatsarchiv Dresden, Sächsisches Staatsarchiv, Bestand 12613, Gerichtsbücher, GB AG Döbeln Nr. 124.
[2] Mairüben, Mangold, Pastinaken, Topinambur („Indianerkartoffel“), Grüner Fuchsschwanz, Hirschornwegerich, Rapunzel, Portulak, Schwarzer Rettich, Zuckerhut, Rote Beete.
[3] Der aus Bayern stammende Braumeister Joseph Groll (* 21. August 1813 Vilshofen; † 22. November 1887 ebda.) braute am 5. Okt. 1842 in Pilsen den ersten Sud eines neuen untergärigen Bieres und begründete den Ruhm des neuen Bieres nach Pilsner Brauart, das heutige Pilsner.
[4] Zum Thema Bier und historische Braukunst: „Es braut sich was zusammen- Erfurt und sein Bier „Ausstellungskatalog und Begleitbuch der Sonderausstellung „Erfurt und sein Bier“, Stadtmuseum 2018/2019); Hardy Eidam, Gudrun Noll-Reinhardt (Hrsg.): Es braut sich was zusammen. Erfurt und das Bier, Erfurt: Stadtmuseum, 2018.
[5] Entdeckt wurde die Hefe Ende d. 18. Jh. von den französischen Naturforscher Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794), aber erst rund hundert Jahre später isoliert und gezüchtet.
* 1960 Sömmerda/Thür., Genealogie seit 1976
Schwerpunkt: Thüringen (Thüringer Kreis, Kursachsen)
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