Mühle oder Fabrik- ein Ort mit verschiedenen Gesichtern und Geschichten

von Steffen Mücke - 29.11.2023

Forschung innerhalb der eigenen Familie zu betreiben, lässt einen unweigerlich in politisches wie geschichtliches Zeitgeschehen, scheinbar übergeordnete Ent- und Verwicklungen, eintauchen. Andersherum hinterlässt in uns die Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen immer eine Ahnung, wie es den einzelnen Menschen/Vorfahren darin wohl ergangen ist. Oder sollte man aufgrund oftmals mangelnder Wissens- und Quellenlage besser formulieren: „ergangen sein mag“? Was und wie die Großeltern (es) erlebten, vermögen uns noch ihre persönlichen Erzählungen, so sie denn stattfanden, vor Augen geführt haben. Wie sich z. B. unsere Obereltern im 18. Jahrhundert durch ihr Leben schlugen, versuchen wir nun aus dem wenigen, persönlich Überlieferten, wie auch der allgemeinen Geschichtsüberlieferung, zusammenzusetzen. Unseren Ahneneltern im 16. Jahrhundert auf die Spur zu kommen, ist dann schon eine Herausforderung an sich. Es sei denn, der geneigte Forscher stößt auf eine gut erhalten gebliebene Aktenlage.

Vorfahren als Besitzer einer Papier- und Pappenfabrik in Göritzhain bei Rochlitz

Seit einigen Jahren liegt das forschende Augenmerk auf der sogenannten „Schwieger-Linie“. Bekannt wurde z. B. dabei, dass die einstige Obermühle von Göritzhain im Mittelsächsischen, an der Chemnitz gelegen, von Schwiegermutters Vorfahren, dem Limbacher Schmiedemeister Ewald Julius Berthold, 1874 erworben wurde, welcher eine Papier- und Pappenfabrik auf dem Gelände einrichtete. Schwiegersohn Heinrich Oskar Gerstäcker (1885) und wiederum dessen Schwiegersohn Franz Robert August Schmidt (1914) übernahmen jeweils. Des Letztgenannten Sohn Fritz führte die Fabrik bis zur Enteignung 1946. Danach wurde auf dem besagten Gelände durch den „VEB Pappen- und Kartonagenfabrik“ Göritzhain für genau zehn Jahre der Betrieb fortgeführt, bevor es zur Schließung und Übernahme durch die Gemeinde daselbst kam.

Familie Trenkmann auf der Obermühle Göritzhain

Eine Forschung im schwiegerväterlichen Bereich brachte nun örtlich Verbindendes ans Licht, wenn auch zeitlich weit voneinander entfernt.

Einem Kaufvertrag aus dem Jahre 1569 ließ sich entnehmen, dass der Rochlitzer Müller Thomas Trenkmann die Göritzhainer Obermühle für 1.120 Gulden in seinen Besitz brachte, diesen innerhalb der nächsten zwanzig Jahre sukzessive ausweitete und die Familie über drei Generationen dort erhielt. Die Geschichte der Obermühle als solche endete eigentlich schon in den Jahren 1854/56, als es neben großen Schäden durch Hochwasser auch zu einem Totalschaden des Mühlhauses durch ein Feuer kam. Im beinahe Zweijahrestakt wechselten Besitzer wie deren Pläne zum Grundstück. Es wurde schon 1857 eine Holzschleiferei erbaut, drei Jahre später ließ man im Obergeschoss eine Schafwollspinnerei einrichten. Auch Anfänge einer Pappenfabrik findet man in damaligen Jahren, bevor schon angesprochener Berthold aus Limbach eine Papier- und Pappenfabrik einrichtete.

Es fanden sich nun also Vorfahren aus unterschiedlichen Linien an jenem Ort. Solche, die uns, zeitlich nah, teils noch aus Begegnung, Erzählung, Fotos, Briefen etc., bekannt. Recht greifbar noch. Dann diejenigen vor über 400 Jahren, deren Spuren wir letztlich nur noch aus Amtshandlungen in Kirche und Gericht finden können. Deren Geschichten nur mühsam zusammen getragen werden können. Eine solche, ebenso nicht alltägliche wie tragische, soll hier kurz skizziert werden.

Familie des Müllers Thomas Trenkmann

Von Thomas Trenkmann sind 4 Kinder, darunter drei Söhne, bekannt. Erste Spuren von ihm findet man in Rochlitz, als er 1559 ein Haus in der dortigen Vorstadt kaufte, anzunehmender Weise wohl von seinem Schwiegervater Jorge Schuler. Einträge in Kirchen- wie Gerichtsbüchern weisen ihn dort mindestens seit 1563 als Stadtmüller nach. Als solcher wird er dann auch zum Mühlenkauf in Göritzhain bezeichnet. Die Aktenlage in den Gerichtsbüchern des Amts Rochlitz zu ihm ist gut, man findet teils im Jahrestakt Amtshandlungen von ihm vermerkt. Durch seine Testamentsverfügung 1589 kann man seine Familie gut aufstellen. Durch eine Verzichtserklärung von 1586 zu seinem Bruder Andreas in die väterliche Biesener Mühle bekommt man seine Herkunft geklärt. Es darf erwähnt werden, dass „Trenkmänner“ im 16. und 17. Jahrhundert in der Rochlitzer Gegend zahlreich als Mühlenbetreiber zu finden sind. Eine zusammenführende Genealogie ist entworfen worden und als Anhang in Kurzdarstellung zu finden. Einzelne Linien sind ausführlich zusammengetragen. Als Beispiel dazu dienen im Anhang die Aufzeichnungen zur Göritzhainer Linie und deren Ableger.

Die Söhne Thomas (Langenberg, Callenberg) und Andreas (Göppersdorf) verschlug es in die „Ferne“, der älteste Sohn Christoph übernahm 1589 die Mühle vom Vater und führte sie bis zu seinem Tod im Jahr 1630. Von ihm sind aus drei Ehen siebzehn Kinder bekannt, darunter drei Söhne, die ebenfalls das Müllerhandwerk weiterführten, und mindestens eine Tochter, die sich in eine andere Müllerfamilie verheiratete. Christophs Erstgeborener gleichen Namens, schon in jungen Jahren als Mühlenknecht bezeichnet, sollte sicher auch einmal die väterliche Wirtschaft übernehmen. Er war knapp 20jährig, als er 1610 starb.

Mit dem Schwert gegen die „Blutschande“

Im ersten Kirchenbuch Wiederau, in welchem die „diesseits“ der Chemnitz liegenden Göritzhainer Anteile (Wiederberg) eingetragen wurden, fällt einem ein als „NB“ ans untere Ende der Seite angeführter Zusatz ins Auge. Derjenige Christoph Trenkmann junior ist wegen seiner begangenen Blutschande und Unzucht mit seiner Stiefmutter die zur Wechselburg auch gefanglichen gehalten und des gleichen auch wegen des Ehebruchs mit Anne Burckhardt Müllers Eheweib (welche ist ein nachgelasene Tochter Hans Krutzsch weiland zur Wiederau) gefanglichen zur Wechselburg den 23ten Juni eingezogen undt hernachmahls wegen solcher Verbrechung beide gedachten Christoph Trenkmann der Jüngere und Anna Burkart Müllers Eheweib zur Wechselburg mit dem Schwert gerichtet worden. Geschehen den 25ten Septembris Anno 1610. Die Stiefmutter (Hans Dathen tochter weiland zu Kolkau) wird noch gefanglich gehalten. NB die Stieffmutter ist hernach auch mit dem Schwert gerichtet worden zur Wechselburg den 21ten Februarii Anno 1611. Trenkmannui Consolantes Comitati sunt. (dt. Trenkmanns Tröster haben ihn begleitet=die Pfarrer). Tatsächlich findet man ein Jahr später dann auch einen ähnlich gefassten Eintrag zur Hinrichtung jener Stiefmutter.

Die Wucht dieser Nachrichten ließ schon Gefundenes zur Familie noch einmal neu betrachten. 1604 wurde eine erste Kindstaufe des Christoph Trenkmann in Wiederau (KB beginnen 1603) notiert, als Pate eine Tochter desjenigen Burckhardt Müller, mit dessen Ehefrau Christoph Junior später Ehebruch begangen haben soll. Die Familien sollten sich also nahe gestanden haben. Auffällig ist weiterhin, dass zwei Kinder um 1608 und 1610 geboren sein müssten, aber nicht in den Taufbüchern zu finden sind. Sollte es sich bei den im April und Juni 1610 gestorbenen Georg und Anna um Früchte jener Unzucht zwischen Stiefmutter und Stiefsohn gehandelt haben? Wurden sie aus dieser Schande heraus deswegen nicht vom Pfarrer notiert oder vielleicht seitens der Familie gar nicht zur Taufe gegeben? Wurde diese Blutschande deswegen erst offensichtlich? Oder musste der Müller für eine Weile den Ort verlassen, woraufhin die Kinder anderswo zur Welt kamen?

Man fragt sich, bei der Schwere des Aktes, wie es der Familie überhaupt erging mit solch einem Geschehen im Inneren. Dazu geben zwei Quellen vielleicht Aufschluss. Am 9. Dezember 1611, alle Delinquenten waren da schon hingerichtet, erklärt Christoph Trenkmann vor dem Richter, dass er die Kosten für Geräte, Kleidung und Zehrung während der Haft seiner Frau beglichen hat. Und er sich nicht als schuldig erachtet, eines mehrens zu geben. Derweil aber der Vater seiner gerichteten Frau, Hans Thate, ein armer Mann, er nicht nur dessen Anteil der Kosten übernommen, sondern ihm auch noch 23 Gulden Bargeld zu seinem Lebensunterhalt gegeben habe. Finanziell gesehen hatte er also die seinige Schuldigkeit getan.

Schon drei Monate zuvor erschien Christoph Trenkmann vor dem Wechselburger Amtsrichter und erklärte eine neuerliche Verlobung und sogleich auch die Vereinbarung, im Falle seines Todes die neue Ehefrau aus der Vorlassung seiner Erben (Kinder) jeweils 14 gute Schock im Jahr erhalten zu lassen. Das Leben ging also weiter. Allein mit sechs Kindern auf der Mühle konnte das nur mit einer neuen Frau gelingen. Das Stigma des Geschehenen war da vielleicht auch nachrangig geworden. Wer weiß… Die dritte Hochzeit ihres Sohnes Christoph durfte die Mutter Ursula gerade noch so miterleben, bevor sie am 21. November 1611 begraben wurde. Der Pfarrer erinnerte an sie, welche zwar an ihren Kind und Kinderkinderns groß Elendt erfahren und erlebt hatt denn ihr Sohn der Müller Christoph Trenkmann in seiner Jugend ein Hurentreiber undt auch ein Zeitlang verwiesen gewest, er aber entlich wieder einkommen undt sein größter Sohn Christoph undt sein andere Frau wegen pt inccestum den sie mit einander getrieben, zur Wechselburg gerichtet worden. Tatsächlich musste der Müller also für eine Weile den Ort verlassen haben, was die nicht gefundenen Taufen der zwei Kinder erklärte.

Den 26. Martii Christoph Trenkmann Müller zu Göritzhain mit einer Leichenpredigt zur Erden bestattet.“, liest sich der Eintrag zu seinem Tod dann doch überraschend unaufgeregt. Am 7. Mai kaufte Sohn Michael seines Vaters Mahl- und Schneidemühle für 1.600 Gulden. Unglücklicherweise verstarb er 27jährig schon im Juni 1632. Die Mühle ging dann an den neuen Gatten seiner Witwe, Valentin Hennig, welcher aber auch schon fünf Jahre später an der Pest verstarb. Der dritte Ehemann dann, Valentin Lose, konnte die Mühle immerhin noch zwanzig Jahre lang bewirtschaften.

Fazit

Heute stehen auf dem Areal der alten Obermühle nur noch zwei verfallende Nebengebäude. Das Wohnhaus verfiel im Laufe der Jahrzehnte, nachdem die letzten Besitzer mit ihrer großen Familie 1947 zwangsvertrieben worden waren. Das Fabrikgebäude wurde in den 1960er Jahren von der Gemeinde zu einem Mehrfamilien-Wohnhaus umgebaut. Ende der 2010er Jahre wurden beide Gebäude abgerissen. Keine Gedenktafel erinnert an eines der ersten industriellen Objekte im Chemnitztal. Anders erfuhren es jüngst die Nachfahren der ehemaligen Niedermühle in Göritzhain. Zum Gedenken an die letzten privaten Besitzer dieser Papierfabrik – die Familien Scheerer und Schlosser – wurde auf ihrer ehemaligen Grabstätte auf dem Friedhof in Hohenkirchen, von Freunden initiiert, eine Gedenktafel angebracht, die ihre Geschichte würdigt und an ihre Vertreibung erinnert. Eine Notwendigkeit für die angestammten Müllergewerke scheint es auch nicht mehr zu geben, zumindest nicht in dem früher gewohnten Maß. Von der nachweislichen Ersterwähnung im Jahr 1549 (Besitzer Andres Junghans und Peter Schilling) bis zur Schließung als Pappenfabrik im Jahre 1956 sind über 400 Jahre Nutzung nachzuweisen und durch Quellen belegt. Durch die Verbindung der schwiegerväterlichen (1569-1630) und -mütterlichen Linien (1874-1946) weiß man nun vom Wirken und Schaffen der Vorfahren über 133 Jahre an diesem Ort.

Dank der Forschung Harald Mischniks zu den Vorfahren Karl Mays wissen wir nun auch, dass Thomas Trenkmann ebenfalls zu jenen gehörte. Dank der Arbeiten Thomas Lieberts aus Lunzenau zu den Mühlen und Müllern der Umgebung fanden sich gesuchte Personen, Orte und Quellen einfacher. Am Ende sei für Interessierte noch auf die Arbeit des William Clemens Pfau verwiesen, der neben vielen anderen Werken 1924/25 auch eine Abhandlung zu den Wassermühlen der Rochlitzer Gegend verfasste.

Steffen Mücke

Mitglied: AMF 2584

zaphun(at)web.de

Markkleeberg