Dresden - eine symbolträchtige Stadt

von Petra Seidemann-Matschulla - 29.05.2020

Mit der Öffnung der Grenzen und der Wiedervereinigung ging für mich ein großer Wunsch in Erfüllung. Diese großen Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte sollten es mir endlich ermöglichen, meine Großcousinen und -cousins in Thüringen besuchen und ohne Einschränkungen weiter nach Dresden fahren zu können. Bisher scheiterte eine solche Reise immer daran, dass die Familie sagte: Nein, in die DDR fahren wir nicht.

Von Dresden und der Frauenkirche - oder besser gesagt, das, was von ihr über war - fühlte ich mich schon immer angezogen. Hatte ich als Kind nicht mal den Namen von einer Großtante gehört? Und warum wurde ich dann aus dem Zimmer geschickt?

Als ich das erste mal vor dem Trümmerhaufen stand, der einst eine so eindrucksvolle Kirche gewesen sein soll, war ich erschüttert. Dieser trostlose Platz sollte die berühmte Frauenkirche sein? Enttäuscht kam ich nach Hause. Meine Patentante erzählte, in Dresden sei sie auch mal gewesen, am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Einige Jahre später machten wir Urlaub in der Sächsischen Schweiz. Wieder zogen mich Dresden und die Frauenkirche magisch an. Der Wiederaufbau des Gotteshauses war in Angriff genommen worden, die Unterkapelle konnte ich besichtigen. Dieses Mal bohrte ich nach, als meine Patentante erneut anfing, von Dresdem zu erzählen. "Wir waren auf der Flucht von Löbau nach Schöna und haben einen Bombenangriff in Dresden erlebt." Wir, das waren meine Großmutter, ihre Schwester mit Sohn und die beiden Kinder meiner Großmutter, also jene Patentante und mein Vater. Außer ihr war keiner von ihnen mehr am Leben. Doch mehr wollte sie nicht erzählen, die Tränen standen in ihren Augen.

Jahre später erhielt ich ein Diktiergerät mit Tonaufnahmen meiner Tante. Sie schilderte darin die Erlebnisse ihrer Flucht. Alle fünf waren am 13. Februar 1945 mit der Bahn von Löbau auf dem Weg nach Gera, als es in Dresden am Bahnhof Bombenalarm gab. Der Zug hielt an und wegen eines Bombenangriffs mussten alle die Bahn und den Bahnhof verlassen mußten. Sie verbrachten die Nacht unter einer Straßenbahn, während um sie herum ein Inferno tobte.

Mein 4jähriger Großcousin hatte am nächsten Morgen Brandwunden am Ärmchen und weinte bitterlich: „Aua, Püppi [Kosename meiner Tante], aua, tut so weh!" Zum Glück war es die einzige Verletzung, die er davongetragen hatte.

Weder meine Großmutter noch mein Vater konnten jemals über die Erlebnisse dieses Nacht sprechen. Oft erlebte ich bei meiner Großtante, dass sie bei lauten Knallgeräuschen aus Angst vor Bomben im Keller verschwand.  Reisen mit dem Zug hasste sie.  

In der letzten Woche, 75 Jahre nach diesen traumatischen Ereignissen, besuchte ich wiederum Dresden und konnte in der wiederaufgebauten Frauenkirche im ersten Gottesdienst nach Corona Danke sagen.

Petra Seidemann-Matschulla

AMF-Vorstand, SchatzmeisterinBlog-Redaktion

Mitgliedschaften: AMF 1537Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr

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