Reise nach Preßwitz

Ein Baustein in der Erinnerungskultur eines versunkenen Ortes

von Daniel Pfletscher - 28.09.2023

„Versunkener Ort“ mit 800-jähriger Geschichte

Die friedliche Idylle im Hier und Jetzt lässt beinahe vergessen, dass im jetzigen Wander- und Wassersportparadies in den 1930er Jahren 245 Menschen ihre Heimat verloren. Aus dem Jahr 1125 stammt die älteste Überlieferung von Preßwitz als einer der Lehensorte der Herrschaft Könitz, die mit ihrer Umgegend 1571 Schwarzburg-Rudolstadt zugeschlagen wurde.

Im Dreißigjährigen Krieg erlebte Preßwitz wie so viele Orte Einquartierungen, Plünderungen und einen großen Dorfbrand (1640), bei dem auch das Gotteshaus zerstört und erst in den 1650er Jahren wieder aufgebaut wurde. Ein neuer Kirchenbau erfolgte 1726, ein einfacher, weißgestrichener Bau mit farblosen Glasfenstern und Schieferdach.

Schon die Kinder erfuhren die Beschwerlichkeit eines Lebens in dem abgeschiedenen Ort. Knapp sieben Kilometer mussten sie bis 1667 zurücklegen, um die Schule in Könitz zu besuchen. Danach war der Weg zum Unterricht in Bucha immerhin noch halb so lang. Um ihnen den beschwerlichen Weg zu ersparen, richtete man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Preßwitz einen “Notstall” ein. 1848 wurde das Hirtenhaus (Nr. 22) um ein Stockwerk erweitert, wo die Schülerinnen und Schüler künftig ihren Platz fanden.

Der Haupterwerbszweig der Preßwitzer, die beinahe abgeschnitten von der Außenwelt lebten, war die Landwirtschaft. Fischerei und Kohlenbrennen wurde ebenfalls betrieben und die Flößerei ermöglichte Fortbewegung und Handel. Eine große Rolle spielte auch der Bergbau, sind doch in der näheren Umgebung um Preßwitz, in Bucha und Könitz mehrere Gruben nachgewiesen.

Ein gewaltiges Hochwasser im November 1890 und der steigende Bedarf von Elektrizität führte dazu, die Planungen für Talsperren im oberen Saalebetrieb in Angriff zu nehmen. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, ehe der Bau der Hohenwarte-Talsperre vollzogen wurde. Doch trotz Protesten in den Jahren zuvor begann der Bau 1935, womit das Ende des Ortes Preßwitz und die Evakuierung seiner Bewohnerinnen und Bewohner immer näher rückte. Die Angliederung an Hohenwarte zum 1. April 1938, der Abschiedsgottesdienst am 21. April und ein Treffen der letzten fünf verbliebenen Preßwitzer Familien im August in der Gaststätte Hollmann zählten zu den letzten Kapiteln in der Ortschronik. Im September nutzte die Wehrmacht das verlassene Dorf für Schießübungen, ehe die Trümmerlandschaft Anfang 1941 mit der ersten Füllung des Stausees für immer unter der Wasseroberfläche verschwand.

Wer sich mit der Geschichte des Ortes und seiner Bewohner näher beschäftigen will, dem sei folgendes Buch ans Herz gelegt, das Friedrich Lundgreen 1938 als Ergebnis aufwendiger Recherchen veröffentlichte: Im Stausee von Hohenwarte verschwunden : Die Geschichte von Preßwitz und Saalthal. Die Monographie ist gelegentlich antiquarisch erhältlich, aber zur Freude aller Interessierten als Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) online frei zugänglich. Neben umfangreichen Abhandlungen zur Geschichte und zur Volkskunde ist beispielsweise auch eine Übersicht zu den 26 Häusern und ihren Bewohnern zu finden. Ein umfangreiches Orts- und Personenregister erleichtert die Benutzung und kommt uns Familienforschenden besonders entgegen.

„Da lag Preßwitz schräg drinne“

Die Hohenwarte-Talsperre, die mit 75 Metern Kronenhöhe und einem Stauseevolumen von 182 Millionen m³ zu den größten Deutschlands zählt, war unser Ziel an einem spätsommerlichen Sonntagnachmittag im September 2023. Die Kunststudentin Sandra Rücker, die sich mit erinnerungskulturellen Praktiken in ländlichen Räumen beschäftigt(e), erarbeitete einen Audiowalk nach und über Preßwitz.

Unsere Reise in die Vergangenheit begann am Bootsverleih Hohenwarte, wo auch die Führung des Audioguides begann, der uns die etwa 500 Meter über den Stausee bis zur einstigen Lage von Preßwitz führte. Begleitet von einer Collage aus Musik, Geräuschen und Gesprächsaufnahmen bewegten wir uns entlang der alten Dorfstraße, erfuhren Details zum Leben in Preßwitz, vom letzten Abend in der Gaststätte Hollmann, Erinnerungen an Eisfahrten, die Kirchweih, Schießübungen der Wehrmacht, die Umsiedlungen und den Talsperrenbau.

Sandra Rücker demonstriert anhand eines Ortes, in dem auch ihre Vorfahren lebten, auf beeindruckende Art den Verlust von Heimat, basierend auf einem umfangreichen Quellenstudium und vielen geführten Interviews mit einstigen Preßwitzern und deren Nachkommen.

Langhammer in Preßwitz

Auch eine meiner familiären Wurzeln reicht nach Preßwitz zurück, Gräber meiner Ahnen liegen nun betonversiegelt auf dem Grund des „Thüringer Meeres“. Loni Anna Erna Langhammer, meine Großmutter väterlicherseits, wurde hier am 19. Oktober 1920 geboren. Mindestens fünf Langhammer-Generationen hatten vor ihr schon in Preßwitz gelebt und als Landwirte, Holzhändler und Zimmerleute gearbeitet, ehe Loni mit ihren Eltern zu den Ersten zählte, die den Ort verließen. Wohnte ihre Familie anfangs noch in Gössitz, ließ sie sich dann in Tömmelsdorf bei Triptis nieder.

Der dreifache Urgroßvater meiner Großmutter Loni Langhammer (später verehelichte Pfletscher) war der Zimmermann Hanß Heinrich Langhammer, der am 20. Februar 1803 in Preßwitz starb. In welcher Beziehung dieser zum Bergarbeiter Christoph Langhammer (* um 1659 evtl. Weitisberga, † 1716 in Preßwitz) stand, dem ersten Langhammer in Preßwitz , konnte bisher nicht ermittelt werden.

Abschied von Preßwitz

Wie es sich anfühlt, Heimat hinter sich lassen zu müssen, kann nur nachfühlen, wer einen solchen Verlust selbst erlebt hat. Auch die letzte Preßwitzer Generation ist beinahe Vergangenheit. Dass der Ort und seine Bewohner nicht vollends vergessen werden, obliegt nun den Nachgeborenen. Auch die Familienforschung kann und wird ihren Beitrag leisten.

Sandra Rückers Audioguide ist ein wichtiger Beitrag in der Erinnerungskultur verschwundener Orte im Allgemeinen und von Preßwitz im Speziellen. Eine gewisse Wehmut, die erzeugt wird, wenn man mit dem Audioguide im Ohr über den Stausee rudert, überliefert uns auch das Gedicht „Abschied von Preßwitz“. Vermutlich erhielten es die umgesiedelten Familien mit ihrem Wegzug oder im Nachgang auf einem der Treffen ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner. Weil es oft nur fragmentarisch weitergetragen wurde, soll an dieser Stelle an den kompletten Wortlaut erinnert werden. Vorgelesen wird es von meiner Tochter Luise, die ihre Urgroßmutter aus Preßwitz nie traf, aber sie auf unserem Ausflug doch ein wenig kennenlernte.

Quellen zur Ortsgeschichte

Blöthner, Alexander:  An der Hohen Warte : eine sagenhafte Wanderung von Saalthal über Bucha und Goßwitz nach Könitz, [Plothen] 2021.

Lehfeldt, Paul. Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt: Oberherrschaft. Jena: Fischer, 1894. Digitalisat: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:wim2-g-2548137 [Seitenaufruf am 13.09.2023].

Lundgreen, Friedrich:  Im Stausee von Hohenwarte verschwunden : Die Geschichte von Preßwitz und Saalthal, Saalfeld/Pößneck 1938. Digitalisat: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-hisbest-283885 [Seitenaufruf am 13.09.2023].

Mittelsdorf, Harald: Die Geschichte der Saale-Talsperren (1890 - 1945), Jena 2007.

Bildserie „Häuser von Preßwitz“:

  • Preßwitz rüstet sich zum Umsiedeln, In: Die Heimat im Bild, 8. Jg. (1936), Nr. 26 vom 28. Juni 1936.
  • Wieder einmal an der Hohenwartesperre, In: In: Die Heimat im Bild, 8. Jg. (1936), Nr. 26 vom 28. Juni 1936.
  • Wo die Sprengschüsse donnern, In: Die Heimat im Bild, 8. Jg. (1936), Nr. 30 vom 26. Juli 1936.
  • Feierabend in einem kleinen Dorfe, In: Die Heimat im Bild, 8. Jg. (1936), Nr. 35 vom 30. August 1836.
  • Preßwitz, das wandernde Dorf, In: Die Heimat im Bild, 9. Jg. (1937), Nr. 4 vom 24. Januar 1937.
  • An der Hohenwarte-Sperre, In: Die Heimat im Bild, 9. Jg. (1937), Nr. 16 vom 18. April 1937.
  • Abschied von Preßwitz : Ein Dorfbesuch am 10. August 1837, In: Die Heimat im Bild, 9. Jg. (1937), Nr. 33 vom 15. August 1897.
Daniel Pfletscher

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